So machen wirs nicht!!!

Ein Erfahrungsbericht, warum gep eine Familienaufstellung nach B. Hellinger nicht macht
und ausschließlich systemische Familien- und Themenaufstellungen anbietet

 

Planschen in der Gefühlsbadewanne

Ein subjektiver Eindruck eines Teilnehmers bei einer Familienaufstellung nach B. Hellinger.

Zum ‚Dossier’ über Bert Hellingers Familienaufstellungen möchte ich meine eigenen Erfahrungen von einer kürzlich besuchten Aufstellung in Österreich beitragen.

Freitagnachmittag, in einem mit dicken Teppichen ausgelegten Seminarraum:

Stille, man spricht leise, eine Art Feierlichkeit macht sich breit. Die Leiterin der Aufstellung spricht ein paar allgemeine Sätze, kein Wort über die Methode, den Zeitplan oder andere Rahmenbedingungen. Wir sollen uns nur ganz auf die Erfahrung einlassen, sagt sie. Siebzehn Frauen und fünf Männer schauen einander an, manche scheinen einander gut zu kennen. Die Kennenlernrunde ist darauf beschränkt, dass jeder „ein paar Sätze sagen soll, damit wir die Stimme wahrnehmen können“. Ich hatte mich aus Neugier als „Stellvertreter“ nominieren lassen, war weder positiv noch negativ voreingenommen. Aber das sollte sich bald ändern. Sechs Teilnehmer werden Teile ihrer Familie aufstellen. Der erste Aufstellende schildert sein Problem, das er mit Hilfe der Aufstellung in den Griff bekommen möchte.

Ein Familienstammbaum wird aufgezeichnet, man bekommt nur über wenige Familienmitglieder Informationen. „Selbstmord“, kritzelt die Leiterin beim Großvater dazu, „Waffen-SS“ beim Vater. Bei der Urgroßmutter steht bloß „vom Bruder vergew.?“ - Bruchstücke, denke ich mir, Splitter, wo ist die Geschichte dazu? So kommen in mir keine Menschen-Bilder hoch, nur Klischees, holzschnittartige Vorstellungen, die ich eben über Selbstmörder, Vergewaltigungsopfer oder Nazis habe.

Aber schon geht es los. Stellvertreter werden ausgewählt. Der Aufstellende schließt feierlich die Augen, legt dem Mann vor ihm die Hände auf die Schulter. „Du bist jetzt mein Vater Franz“, sagt er, und schiebt in sanft und suchend an eine bestimmte Stelle im Raum. Wie beim Tischchen-Rücken wirkt das, eine Art magisches Ritual, nur dass es mit Menschen passiert. Als alle aufgestellt sind, bittet die Leiterin die Stellvertreter, die Augen zu schließen und auf ihre inneren Bewegungsimpulse zu achten.

Die Aufgestellten wiegen sich wie die Zweige im Wind, drehen sich, gehen ein paar Schritte. „Was fühlst du?“, fragt die Leiterin jeden einzelnen. „Nichts Besonderes“, hätte ich gern geantwortet, aber das wäre mir unpassend vorgekommen. Die anderen beschreiben, was sie fühlen. „Ich habe ein ganz intensives Schaudergefühl“, sagt eine Teilnehmerin. „Es kribbelt in der rechten Hand“, meint ein anderer. „Mich zieht es hinunter, ich kann mich kaum auf den Beinen halten“, flüstert eine dritte. Ich bin neugierig, was die Leiterin zu diesen seltsamen Manifestationen sagen wird. „Aha, mhm“, meint sie nur, und geht weiter. Sonst sagt sie nichts. Als sich minutenlang nichts mehr bewegt, nimmt sie einzelne Familienmitglieder bei der Hand und verändert deren Position. Langsam kommt Dynamik in das Spiel, manche wollen weit weg von anderen, andere haben das Bedürfnis, ihr „Familienmitglied“ zu umarmen. Gesprochen wird nicht, darf nicht werden, dafür sorgt die Leiterin: „Nicht erklären, lass dich auf deine Gefühle ein, bitte“. Erste Tränen kommen auf, andere schüttelt es, jemand kauert sich auf den Boden und schluchzt.

Es wird mir klar, dass hier keine Schauspielerei stattfindet. Die Gefühle sind echt, niemand verstellt sich. Aber woher kommen diese starken Gefühle? Viele der Anwesenden scheinen zu glauben, dass sich die – Großteils verstorbenen – Familienmitglieder auf magische Weise hier in den Aufgestellten manifestieren.

Ich bleibe skeptisch und beobachte. Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass hier jeder seinen eigenen inneren Bildern nachgeht und diese auf die Dargestellten anwendet? Wer hat nicht eine eigene Vorstellung von einem zu wenig fürsorglichen Vater, oder einer überforderten Alleinerzieherin, oder davon, was eine Mutter für ein früh verstorbenes Kind fühlt? Hier werden keine fremden Familien aufgestellt, sondern jeder steht für sich selbst da und lässt sich durch die Aufstellung dazu anregen, in die eigene Gefühlswelt abzutauchen.So gesehen ist es allerdings eher förderlich, dass man möglichst wenig über die darzustellenden Personen erfährt.

Viel Leid, viel verdrängte Traurigkeit kommt zu Tage. Abhilfe sollen ritualisierte Versöhnungsgesten schaffen, die von der Leiterin genau vorgegeben werden. „Das Schwere, das ich für dich getragen habe, das geb’ ich dir jetzt zurück.“, heißt es da etwa. Kissen werden symbolisch überreicht. Tränen und Umarmungen. Ob das reicht, um jahrzehntelang aufgestauten Frust und Aggressionen los zu werden? In härteren Fällen lässt die Leiterin die schuldig gewordenen Elternteile oder Partner sagen: „Mehr war einfach nicht drin“. Na, hoffentlich ist das ein Trost, denke ich mir. Aber der erste Aufsteller, Oskar, der sich nach seiner Aufstellung „unglaublich befreit und erleichtert“ fühlte, sitzt schon eine Stunde später wieder wie ein Häufchen Elend auf seinem Platz, immer noch mit jeder Faser ein trauriges Kind. In der nächsten Aufstellung, diesmal als Stellvertreter, wird er wieder viel weinen und sich lieber zu den Kriegsopfern legen als bei den lebenden Geschwistern stehen zu bleiben.

Überhaupt fällt mir im Lauf der zwei Tage auf, dass auch andere Gruppenmitglieder immer wieder ähnliche Rollen spielen, ähnliche Gefühle ausleben. Mit den aufgestellten Familien hat das teilweise wenig zu tun. „Siehst du das in deiner Familie?“, fragt die Leiterin gelegentlich den Aufstellenden. „Nein, eigentlich überhaupt nicht“, kommt prompt als Antwort, was aber niemanden zu stören scheint. Wenn die Teilnehmer es so fühlen, dann muss es so stimmen. Gefühle haben immer Recht! Das bemerke ich auch, als ich laut anmerke, dass es mir ein wenig unplausibel erscheint, wenn im Mutterleib verstorbene Kinder Zuneigung zu den später geborenen Geschwistern fühlen können. „Sei nicht so ein Rationalist!“, fährt mir meine Nachbarin über den Mund. Gedanken sind hier offenbar verpönt, sie stören das Bad in der Gefühlssuppe. Motto: lass es einfach raus, woher es kommt und was es bringt, wirst du schon noch sehen.

Mir ist das Ganze zu schwammig, zu klebrig, zu wenig zielgerichtet, und ich frage mich, ob wir nicht die über Jahrhunderte entwickelte abendländische Methode des rationalen Hinterfragens allzu leichtfertig über Bord werfen. Sicher ist es schön, tut es gut, wenn man endlich seinem „Vater“ weinend in den Armen liegen kann, wenn bei der Aufstellung anwesende echte Geschwister endlich einander sagen können, wie sehr sie sich mögen. Aber ohne intensive psychologische Begleitung, ohne Vor- und Nachbereitung erscheint mir die Methode des Familienaufstellens ein wenig ineffizient zu sein.

Die große Überraschung kommt für mich bei der Abschlussreflexion. Als ich versuche, vorsichtig meine Bedenken zu formulieren, stimmt mir die Leiterin, eine erfahrene Psychologin, ohne Einschränkungen zu. Einige Teilnehmer runzeln die Stirn. Ja, sie denke auch, dass sich jeder zu mindestens 50 Prozent selbst aufstelle, meint sie, und überhaupt könne man sich hier nur Anregungen, Anstöße holen für die eigentliche Arbeit an der persönlichen Entwicklung, die oft in eine ganz andere Richtung führe, als von der Aufstellung angedeutet wurde. Aha, denke ich mir, die Gefühlsbadewanne ist also nur eine Art Buchstabensuppe, aber das Lesen nimmt sie einem nicht ab. Gut so, ich bin versöhnt. Impulse, über die eigene Geschichte nachzudenken, hat es immerhin einige für mich gegeben. Dass viele andere Teilnehmer der Methode weiterhin eine Art Zauberkraft zuschreiben, ist deren Sache. Mögen sie trotzdem beim Planschen in ihrer Gefühls-Badewanne eines Tages einen Schatz heben.

Der Autor äußerte ausdrücklich den Wunsch anonym zu bleiben. Stellungnahmen zum Artikel leiten wir gerne weiter. Zusendungen an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!